Einführungsvorlesung: Germanistische Linguistik, WS 2012/13, Do 10-12; Fr 10-12 PD Dr. Christiane Wanzeck/LMU München 10. Vorlesung
Pragmatik: „Sprechen“ durch Handeln
1. Zur Entwicklung und Definition des Terminus Pragmatik
Geprägt wurde der Terminus Pragmatik von dem Semiotiker Charles M. Morris. In seinem se-miotischen Modell referiert Pragmatik auf die Beziehung zwischen Zeichen und Zeichenbenut-zer. Und dieser Ansatz war neu.
Die Vielfalt der Funktionen wurde im Bereich der Zeichentheorie thematisiert:
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Die dreifache Funktion von Zeichen
Darstellung Aussage
Ausdruck
Expressivität bei emotionalen Äußerungen wie Fluchen
Appell
Frage, Befehl, Aufforderung
Weiterentwicklung der Pragmatik durch die Sprachphilosophie (Philosophie der Alltagssprache)
Ludwig Wittgenstein und John Langshaw Austin ► Erfassung der Eigenschaften der All-
tagssprache
Definition von Pragmatik = Interaktion von Sprache und Kontext
Sprachverwendung
allgemeine Bedingungen der Bezugnahme von Zeichen; Deixis
Sprachwirkung
sprachliche Zeichen enthalten Steuerungskapazitäten
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Die Sprache trägt ein Handlungspotential ► Handlungsumwelten
Zum Beispiel: Kaffee trinken, laufen gehen, schlafen gehen
Charles S. Peirce ► Konzeption der Pragmatik
Es gibt also keine Trennung zwischen Kotext (sprachlichem Zeichen) und Kontext (nichtsprach-lichem Zeichen)
Kernbereiche der Pragmatik
Präsuppositionen: unausgesprochene Vorannahmen
Deixis: explizite Kennzeichnungen
Implikaturen: Teilmenge impliziter Folgerungen
2. Zur Sprechakttheorie von Austin und Searle
John Langshaw Austin hat eine bahnbrechende Vorlesung 1955 in Harvard gehalten.
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Titel: How to do things with words
Thematik: Handlung kann durch die Äußerung von entsprechenden Wörtern geschehen
Beispiele für solche Äußerungen, die eine Wette, ein Versprechen oder eine Namengebung be-wirken:
Wette: Ich wette, es schneit zu Weihnachten.
Versprechen: Ich verspreche dir, das nächste Mal pünktlich zu sein.
Namengebung: Ich taufe das Schiff auf den Namen Silberpfeil.
Die Verben versprechen, taufen und wetten sind performative Verben.
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Zentrale Teilaspekte eines Sprechaktes (nach Austin)
lokutiver Akt: Der Pilz ist giftig.
(= der bloße Akt des etwas Sagens)
illokutiver Akt: Warnung
(= Handlungscharakter der Äußerung; kann auch durch die Intonation, die Wortstellung oder bestimmte Partikeln angezeigt werden)
perlokutiver Akt: Pilzpflücker nimmt den Pilz nicht
(= Wirkung des Sprechaktes)
Folgendes gilt für die einzelnen Sprechakte:
lokutiver Akt = grammatische Wohlgeformtheit illokutiver Akt = braucht bestimmte Begleiterscheinungen (z. B. Intonation)
perlokutiver Akt = entzieht sich der direkten Erfassung (eher Teil der Psychologie)
John Searle hat Austin’s Sprechakttheorie 1969 in seinem maßgeblichen Buch weiter ausgebaut.
▼ Titel: Speech acts
Thematik: Systematisierung des Ansatzes von Austin und Herstellung einer Verbindung zu den
sprachwissenschaftlichen Ansätzen.
Erweiterung der Teilaspekte eines Sprechaktes (nach Searle)
Äußerungsakt (Lokution): grammatisch erfassbarer Teil
propositionaler Akt (Proposition): betrifft den Inhalt des Gesagten (Aussage über die Bestand-teile der Realität (prädikativer Akt) und Bezugnahme auf bestimmte Bestandteile der Realität (referentieller Akt))
illokutiver Akt (Illokution) perlokutiver Akt (Perlokution)
Beispiel ► Äußerungsakt: Paul schreibt einen Aufsatz
propositionaler Akt: referentieller Akt: der Sprecher referiert auf Paul
prädikativer Akt: drückt die Handlung aus, einen Auf-satz zu schreiben
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Das Zentrum des Sprechaktes ist nach Searle der illokutionäre Akt. Darunter versteht er ver-schiedene Arten von Sprechakten:
Behauptung (assertiv)
Entschuldigung (expressiv) Befehl (direktiv)
Namengebung (deklarativ) Versprechung (kommissiv).
Searle entwickelt des Weiteren das Konzept der indirekten Sprechakte.
Beispiel:
Person 1: Komm, wir gehen heute Abend ins Kino. Person 2: Ich muss für die Prüfung am Freitag lernen.
Person 2 vollzieht mit seiner Antwort:
den primären illokutiven Akt (Handlungscharakter: Ablehnung des Vorschlags)
den sekundären illokutiven Akt (Feststellung, dass er sich für die Prüfung am Freitag vorberei-ten muss)
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Die primäre Illokution ist nicht wörtlich
Die Pragmatik untersucht das komplexe Regelsystem bei der Interaktion von Sprache und kon-textrelevantem Wissen.
3. Zur Weiterentwicklung der Sprechakttheorie
Grundlegende Fragestellungen:
Ist der Dialog ein Sprechakt?
Ist der Sprechakt in einem Dialog das Argument in diesem Dialog? Ist der Sprechakt nur ein Element in einem Dialog?
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Sprechakt vs. Sprechaktsequenz
Welchen Status haben Partikeln in Verbindung mit performativen Verben?
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hiermit: Ich verspreche dir hiermit zu kommen.